Boostern, das war gestern – die Schweiz sitzt auf Millionen von überschüssigen Impfstoffdosen

Der Schweizer Bundesrat wollte auf Nummer sicher gehen und hat selbst für 2023 noch grosszügig Impfstoffe bestellt. Weil die Impfbereitschaft stark nachgelassen hat, müssen nun aber immer mehr Dosen vernichtet werden.

Dominik Feldges 34 Kommentare 5 min
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Die Nachfrage ist minim: Pfizer-Biontech-Spritzen liegen in einem Impfzentrum zur Verabreichung bereit.

Die Nachfrage ist minim: Pfizer-Biontech-Spritzen liegen in einem Impfzentrum zur Verabreichung bereit.

Hannah Beier / Reuters

Es sind riesige Mengen von Impfstoffdosen, welche die Schweiz angehäuft hat. Zurzeit beträgt der Lagerbestand an einsetzbaren Impfstoffen 13,5 Millionen Dosen, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Anfrage der NZZ erklärt. In den nächsten Wochen werden rund 2 Millionen zusätzliche Dosen in neuer Zusammensetzung erwartet.

Auch die meisten Älteren verzichten auf Auffrischimpfung

Doch das ist noch nicht alles. Die Schweiz, die sich trotz abklingender Pandemie nach wie vor eine Vollkasko-Lösung bei der Versorgung mit Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 leistet, hat sich zur Abnahme weiterer 11,6 Millionen Dosen im laufenden Jahr verpflichtet. Der überwiegende Teil, schreibt das BAG, werde im dritten und vierten Quartal erwartet. Ein Teil davon seien Lieferungen, die schon 2022 vorgesehen gewesen seien, die man aber ins laufende Jahr verschoben habe.

Die Impfstoffe stapeln sich vor allem deswegen in Tiefkühlern, weil die Impfbereitschaft in der Schweiz stark nachgelassen hat. So liessen sich laut BAG in der Gruppe der über 65-Jährigen, die nach Einschätzung der Behörde als nach wie vor «besonders gefährdet» gilt, erst 37 Prozent in den zurückliegenden sechs Monaten zum ersten oder – in Form von Boostern – ein wiederholtes Mal impfen. Noch deutlich tiefer dürfte die Neigung, sich Erst- oder Auffrischimpfungen gegen das Virus verabreichen zu lassen, mittlerweile in der jüngeren Bevölkerung sein.

Rund 46 Prozent der Ältesten sind zweimal geboostert

Anteil der geimpften Personen, nach Altersklassen, in Prozent
Einfach geimpft
Doppelt geimpft*
Dreimal geimpft
Viermal geimpft

Ein Lagerhaus in Belgien

Da jede Dosis ein Verfalldatum hat, ist der Bund zunehmend gezwungen, Impfstoffe zu vernichten. Bis Ende 2022 entsorgte er insgesamt 2,9 Millionen Dosen. Weitere rund 0,5 Millionen Dosen waren es bei den Kantonen. Hinzu kommen knapp 7,8 Millionen Dosen, die von der Eidgenossenschaft geordert, aber gar nicht erst bis in die Schweiz gebracht, sondern in einem Lagerhaus in Belgien zwischengelagert wurden. Weil sich Pläne zerschlugen, sie via die Covax-Einkaufsorganisation an ärmere Länder weiterzureichen, mussten sie im Herbst 2022 nach Erreichen des Ablaufdatums samt und sonders vernichtet werden. Das Lager wurde aufgelöst.

Insgesamt wurden bis dato 32,6 Millionen Dosen an Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 in die Schweiz geliefert. Verimpft wurden davon bis zum Stichtag am 27. Dezember 2022 knapp 17 Millionen. 4,2 Millionen Dosen konnten an andere Länder weitergegeben werden.

Die Tiefkühlgeräte des Bundes zur Lagerung von Covid-Impfstoffen sind randvoll belegt.

Die Tiefkühlgeräte des Bundes zur Lagerung von Covid-Impfstoffen sind randvoll belegt.

Clemens Laub / VBS

Wunschkunde der Pharmaindustrie

Die Schweiz zählt weltweit zu den Ländern, die sich relativ zu ihrer Bevölkerungszahl am meisten mit Impfstoffen eingedeckt haben. Das BAG spricht von einer «auf Sicherheit basierenden Strategie». «Die Beschaffungsstrategie des Bundesrats hat zum Ziel, alle realistischen Szenarien abzudecken, damit in der Schweiz jederzeit genügende Mengen der besten und neusten Impfstoffe verfügbar sind.» Zugleich nimmt der Bund explizit überschüssige Dosen in Kauf. Falls aufgrund der global tiefen Nachfrage solche nicht weitergegeben werden könnten, müssten sie entsorgt werden, hält die Behörde lakonisch fest.

Verabreichte Impfdosen nach Erst-, Zweit- und Drittimpfungen

7-Tage-Schnitt der Zahl der täglich verabreichten Impfdosen in der Schweiz und in Liechtenstein
Erstimpfungen
Zweitimpfungen*
Erste Booster-Impfungen
Zweite Booster-Impfungen

Länder, die dermassen grosszügig einkaufen, zählen naturgemäss zu den Wunschkunden der Hersteller. Der US-Anbieter Moderna, der in der Wirkstoffproduktion eng mit dem Schweizer Zulieferer Lonza zusammenarbeitet, konnte noch im März 2022 verkünden, mit der Schweiz die Lieferung von 7 Millionen Dosen für Booster-Impfungen im Jahr 2023 sowie eine Option für weitere 7 Millionen bis 2024 vereinbart zu haben.

Laut Moderna wurden solche Abmachungen ausser mit der Schweiz nur mit Grossbritannien, Kanada, Taiwan und Kuwait getroffen. Mit allen anderen Ländern, die USA, Japan und die EU eingeschlossen, sind bis dato die Verträge für 2023 noch nicht unterzeichnet worden. Man arbeite daran, heisst es beim Unternehmen.

Ärmere Länder haben kein Interesse

Die Biotechnologiefirma Moderna hat zusammen mit ihren Produktionspartnern seit dem Ausbruch der Pandemie 1,5 Milliarden Impfstoffdosen hergestellt. Beim Marktführer in diesem Geschäft, dem US-Pharmariesen Pfizer, waren es sogar 4,3 Milliarden Dosen. Sie wurden offenbar in fast jeden Winkel der Welt geliefert. Der Konzern führt 181 Länder auf seiner Abnehmerliste. Allerdings muss auch er konstatieren, dass die Nachfrage nach den Impfungen mittlerweile stark nachgelassen hat.

Lieferverträge für 2023 habe Pfizer nur noch mit «entwickelten Ländern». In Entwicklungs- und Schwellenländern scheint es null Nachfrage zu geben, was auch erklärt, warum die Schweiz keine Abnehmer mehr für ihre überschüssigen Dosen findet.

In China, wo das Virus nach wie vor wütet, konnten weder Moderna noch Pfizer Lieferverträge für ihre mRNA-Impfstoffe abschliessen. Der deutsche Anbieter Biontech, mit dem Pfizer auf dem Gebiet der Corona-Impfungen kollaboriert, ist bis heute nicht über spezifische Abklärungen zur Sicherheit und Wirksamkeit des Vakzins bei chinesischen Patienten hinausgekommen. Eine Minilieferung von 11 500 Dosen, die das Unternehmen aus Mainz kurz vor Weihnachten ankündigte, ist lediglich für deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in China bestimmt.

Auf die Party folgt der Kater

Wie viel die drei führenden Anbieter von Corona-Impfstoffen im vergangenen Jahr mit der Pandemie verdient haben, ist weitgehend bekannt. Alle drei stellten anlässlich der Bekanntgabe ihrer Geschäftszahlen für das dritte Quartal nochmals riesige Summen in Aussicht. So rechnet Pfizer mit Einnahmen von 34 Milliarden Dollar, Biontech mit 16 bis 17 Milliarden Euro und Moderna mit 18 bis 19 Milliarden Dollar.

Eine andere Frage ist, wie gut diese Geldmaschine im laufenden Jahr noch funktionieren wird. Zwar werden Pfizer und Moderna nicht müde, zu betonen, dass die Pandemie nach wie vor schwere Erkrankungen und teilweise sogar Todesfälle verursache, doch gehen Marktbeobachter unisono davon aus, dass sich mit Corona-Vakzinen 2023 deutlich weniger Geld als in den beiden Vorjahren verdienen lassen wird. Laut den Schätzungen des US-Wertschriftenhauses Morgan Stanley wird sich Biontech mit ungefähr halb so hohen Einnahmen wie im Vorjahr begnügen müssen. Moderna drohe sogar eine Umsatzeinbusse von bis zu fast drei Vierteln.

Was passiert im Lonza-Werk in Visp?

Die Flaute bei Moderna dürfte sich auch auf die diesjährigen Geschäfte von Lonza auswirken. So erwarten die Analytiker der Credit Suisse, dass dem Auftragsfertiger aus der Zusammenarbeit mit dem Impfstoffanbieter nur noch 50 Millionen Franken zufliessen werden – verglichen mit geschätzten 220 Millionen für 2022. Lonza wollte auf Anfrage diese Schätzung nicht kommentieren. Auch waren vom Unternehmen keinerlei Angaben dazu erhältlich, was aus den insgesamt bis zu sechs Produktionslinien und 400 Mitarbeitern, die im Werk in Visp ausschliesslich für Moderna aufgebaut werden sollten, geworden ist.

Bereits ausgelaufen ist die Zusammenarbeit zwischen Biontech und Siegfried. Das Zofinger Unternehmen füllte bis Ende 2022 in seinem deutschen Werk in Hameln (Niedersachsen) im Auftrag von Biontech Impfstoffdosen ab. Das Geschäft galt als überdurchschnittlich rentabel. Analytiker unter anderem der Zürcher Kantonalbank befürchten nun, dass Siegfried 2023 mit einem Rückgang der operativen Marge konfrontiert sein wird.

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A C

Ich wurde als in der Schweiz lebender Österreicher 3x fast gezwungen mich freiwillig impfen zu lassen, da in Aussicht stand, dass ich meine Eltern nicht mehr besuchen darf aufgrund der Grenzregelungen. Ich hatte COVID erst nach der Impfung, wobei meine Verläufe heftig waren. Ich arbeite als Pflegefachmann und habe tagtäglich Betroffene versorgt, ohne mich anzustecken, da ich ein gutes Immunsystem hatte und die Basishygienemassnahmen wie Masken & Desinfektionsmittel fachgerecht nutzte. Der Overkill von Masken in der Öffentlichkeit liess mein Immunsystem etwas verkümmern, aber das kommt schon wieder. Was mich am meisten nervt, neben der ständigen Konfrontation mit dem Thema und der Diskriminierung verschiedener Meinungen ist, dass das Geld so immens fehlt im Gesundheitswesen und man nicht bereit ist auch nur einen Rappen / Cent zu investieren, jedoch Milliarden in die Schlünder der Pharmakonzerne stopft. Sogar so dreist, dass man explizit davon spricht diese Impfdosen am Ende auch wegwerfen zu können. Parallel dazu wurden Summen errechnet, bis zu welchem Betrag es noch fair ist, Betroffene überhaupt zu behandeln. Stark.

Timon Boehm

Wen kanns wundern, nachdem immer mehr Impfnebenwirkungen und -schäden an den Tag kommen, obwohl man sie tunlichst unter den Tisch zu kehren versucht. Auch die NZZ müsste sich hier einmal kritisch mit ihrem Impfdogmatismus auseinandersetzten und diesen revidieren, so wie es der Chefredakteur klugerweise auch mit der Haltung gegenüber den "Massnahmen" getan hat. Sagt einer, der KEIN prinzipieller Impfgegner ist, aber in diesem Falle ist mehr als Vorsicht und Skepsis geboten. Das Geschäftsmodell der Anbieter von Corona-Impfstoffen, ein "Dauerabo" einzurichten infolge allzukurzer Wirksamkeit, ist nicht aufgegangen. Sie können sich damit trösten, auch so eine goldene Nase verdient zu haben. Jenes Modell ist n.b. wie wenn jemand Küchengeräte verkauft, die nach drei Monaten kaputtgehen: eine Frechheit -  mit dem Unterschied, dass diese Küchengeräte ungefährlich sind.

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