Verhängnisvolle Entscheidung: Haben Behörden die Flut noch schlimmer gemacht?

Die Edertalsperre in Nordhessen im Frühjahr 2023. Links der Grundablass-Bereich zum Entlasten des Dammes, rechts das Stromkraftwerk

Die Edertalsperre in Nordhessen im Frühjahr 2023. Links der Grundablass-Bereich zum Entlasten des Dammes, rechts das Stromkraftwerk

Foto: Joachim Storch
Von: Stefan Schlagenhaufer

Aus Angst vor trockenen Sommern sind viele Talsperren in diesem Winter rappelvoll. Das rächt sich jetzt!

Aus vielen Bundesländern kommen die gleichen Meldungen: Talsperren sind übergelaufen oder müssen sogar mitten im Dauerregen und bei Hochwasser-Alarm Wasser abgeben. Zum Beispiel die Edertalsperre in Hessen: 800 Badewannen ließ der Betreiber pro Sekunde aus dem zweitgrößten Stausee Deutschlands ab. Obwohl die Weser, die von ihm gespeist wird, schon überlief. So stapfen die Weser-Anwohner in Niedersachsen mit Gummistiefeln durch Wasser, das auch aus Hessen kommt.

120 Kubikmeter Wasser aus der Edertalsperre schießen Anfang Januar aus dem Grundablass – sechs Rohre mit je 1,20 Meter Durchmesser

120 Kubikmeter Wasser aus der Edertalsperre schießen Anfang Januar aus dem Grundablass – sechs Rohre mit je 1,20 Meter Durchmesser

Foto: hr/Ralf Wirth

Die Edertalsperre wurde vor über 100 Jahren unter Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) errichtet, um die Weser und den Mittellandkanal im Sommer mit genügend Wasser zu versorgen, aber auch zum Hochwasserschutz der Städte an Eder, Fulda und Weser im Winter.

Doch dieses Jahr war die Sperre voll. Voller als die vergangenen Jahre. Die Betreiber, die Wasserstraßen- und Schiffsverwaltung des Bundes (gehört zum Bundes-Verkehrsministerium) und das Regierungspräsidium Kassel hielten sich stoisch an ihr selbst aufgelegtes Fünf-Jahres-Programm zum Wintersparbetrieb.

Der Plan: Wasser bereits im Winter sammeln gegen die drohende Sommer-Trockenheit. Zu oft war der Edersee leer gelaufen und das sogenannte Edersee-Atlantis aufgetaucht.

Im Dürre-Sommer 2018 war der See so leer, dass die Ruinen der ehemaligen Dörfer zum Vorschein kamen, die ab 1905 für die Talsperre abgerissen wurden

Im Dürre-Sommer 2018 war der See so leer, dass die Ruinen der ehemaligen Dörfer zum Vorschein kamen, die ab 1905 für die Talsperre abgerissen wurden

Foto: dpa

Die beiden Behörden schrieben Ende November: „Ein nasses Bewirtschaftungsjahr wie 2023 sollte uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Der Klimawandel ist evident und es wird künftig immer häufiger Phasen großer Trockenheit geben.“

Laut Regierungspräsidium Kassel hat das Wassersparen im Wintersparbetrieb in den Jahren 2022 und 2023 12 Mio. Kubikmeter Wasser zusätzlich eingebracht. Aktuell sind 137 Mio. Kubikmeter in der Talsperre.

Die letzten Tage mussten sekündlich 800 Badewannen Wasser – das sind 120 Kubikmeter – abgelassen werden. Laut „Hessischem Rundfunk“ kam das Zehnfache an Zuflüssen durch Dauerregen – die Sperren-Betreiber mussten schnell Wasser loswerden. Mittenrein in die Eder, Fulda und Weser, die mit bis zu Meldestufe 3 die größte Warnstufe erreicht hatten.

Die Edertalsperre ist nicht die einzige Talsperre, die bereits vor dem Hochwasser zu voll war. Auch im Harz waren die Talsperren voll – sie sind zum Trinkwasser-Auffangen da. Auch hier herrscht Sorge vor Trockenheiten im Sommer.

Laut NDR waren die Sperren am 22. Dezember zu 88 Prozent voll, im Vorjahr waren es nur 42 Prozent. Die Betreiber, die Harz-Wasser-Werke, schreiben dazu noch stolz: „Bis zu rund 182 Millionen Kubikmeter des nassen Guts können hier gespeichert werden.“

Die Okertalsperre im Harz lief am 26.12. bereits über

Die Okertalsperre im Harz lief am 26.12. bereits über

Foto: Thomas Schulz/dpa

Bereits am 26. Dezember lief die Okertalsperre über, Füllstand laut ARD: 102 Prozent.

Dr. Hans-Jochen Luhmann (77) vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sieht bei vielen Talsperren einen Interessenkonflikt, da sie mehrere Funktionen haben neben dem Hochwasserschutz. Luhmann zu BILD: „Bei Talsperren zur Trinkwasserbereitstellung ist es mit Händen zu greifen, dass ein Ablassen zur vorsorglichen Freiraumgewinnung Millionenwerte bachab gehen lässt.“

Garantiert sei der Erfolg dabei nicht – doch eines sei klar: „dass sich das Ablassen NICHT in den Büchern des Talsperrenbetreibers als Ertrag niederschlägt.“

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