Politik

Peter Carstens

Pistorius rüstet verbal auf

Von Peter Carstens

Kriegstüchtig soll die Bundeswehr neuerdings werden. Dabei fehlt es selbst am Nötigsten, um wenigstens abwehrbereit zu sein.

Bei der Bundeswehr bewegen sich martialisches Reden und militärische Fähigkeiten in entgegengesetzte Richtungen. Während Verteidigungsminister Boris Pistorius Debatten über den Begriff „kriegstüchtig“ anzettelt und neue Brigaden und Divisionen auf geduldiges Papier malt, verschlechtert sich die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte weiter.

Verbal rüstet Pistorius auf. Bislang hieß es, die Bundeswehr müsse verteidigungsbereit sein. Schon das war ein unerreichtes Ziel. Jetzt gibt der Minister mit dem Begriff „kriegstüchtig“ eine militärische Dimension vor, für die er weder das nötige Geld noch genug Personal und Ausrüstung aufbringen kann. Gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht Pistorius der NATO leichtfertig starke Divisionen, die es nicht gibt, und verlegt vollmundig eine Brigade nach Litauen, die noch gar nicht existiert. Die Zwei-Prozent-Zusage an das Verteidigungsbündnis wird von der Koalition selbst mit Buchungstricks, Milliardenschulden und wolkigen Zukunftsversprechen nur erreicht, indem sie Renten für Soldaten der DDR-Volksarmee, Zinszahlungen für die Schulden und dergleichen als „Verteidigungsausgaben“ deklariert. Im tatsächlichen Haushalt fehlen hingegen etwa 25 Milliarden Euro pro Jahr, um das Ziel zu erreichen. Bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine reichten die Depots der Bundeswehr kaum aus, um eine einzige Brigade „kriegstauglich“ auszurüsten. Um einen solchen Verband mit etwa 5000 Soldaten für die schnelle Eingreiftruppe der NATO (VJTF) zu stellen, mussten die Kommandeure Tausende Fahrzeuge und Ausrüstungsteile aus dem gesamten Heer zusammenborgen. Danach versprach die Politik: Das kommt nicht wieder vor! Kommt es aber doch. Auch für die aktuelle VJTF musste das Heer durchforstet werden. Es dauerte rund drei Jahre, bis das komplexe Leihverfahren bürokratisch eingetütet und der Verband einsatzbereit war.

Von der jetzt allseits geforderten „Kaltstartfähigkeit“ der Bundeswehr bleibt all das weit entfernt. Dabei hatte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bereits nach der russischen Krim-Annexion 2014 lauter „Trendwenden“ angekündigt. Leider muss man feststellen: Die Bundeswehr ist während der vergangenen neun Jahre trotz eines starken Etatwachstums weder einsatz- noch gar kriegstauglich geworden. Es fehlt an mutigen Reformen, an harten Einschnitten, grundlegenden Strukturveränderungen. Geld allein ist es nicht. Pistorius wirkt gerne, als wäre er der knallharte Typ dafür. Nach den Jahren forcierter Abrüstung und Schrumpfung der Truppe durch Unionsminister vereinbarte die Ampelkoalition, eine Bestandsaufnahme der Bundeswehr zu erstellen und dann Ziele für die Streitkräfte zu formulieren. Daraus wurde weder unter Christine Lambrecht noch unter Pistorius etwas. So bleibt es bei Durchwurstelei und bösen Überraschungen, wie neulich mit den digitalen Funkgeräten, die nicht in die Fahrzeuge passen. Wieder eine Modernisierung, die anderthalb Jahre länger dauert als die zehn Jahre, die sie zu spät kommt. Konsequenzen? Fehlanzeige.

Sicher ist aber: Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Zeitenwende-Rede von Kanzler Scholz wird die Lage der Streitkräfte nicht etwa besser, sondern sie verschlechtert sich rapide weiter. Aus bereits ausgezehrten Bataillonen wurden Panzer, Artillerie und Hunderte weitere Fahrzeuge an die ­Ukraine abgegeben. Aus guten Gründen. Schlecht ist jedoch, dass fast nichts davon ersetzt worden ist.

Pistorius mag sich bemühen. Doch etwa bei der Nachbestellung der Patriot-Systeme, ein Standardprodukt der amerikanischen Rüstungsindustrie, braucht allein der Papierkram anderthalb Jahre Zeit. Danach fängt die monatelange Montage erst an. Pistorius schwört die Bevölkerung auf härtere und eventuell ganz harte Zeiten ein. Deutschland brauche eine Bundeswehr, die „kämpfen kann, einsatz- und durchhaltefähig ist“. Der Maßstab hierfür sei, heißt es beinhart in den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien des Ministers, „jederzeit die Bereitschaft zum Kampf“.

Das spottet den Zuständen und dem zähen Mangelalltag in deutschen Kasernen. So verfügt die Bundeswehr nur noch über etwa 50.000 Sturmgewehre, weil seit fast zehn Jahren aus rein politischen Gründen keine neuen G36 beschafft werden. Vom neuen Modell hat das Verteidigungsministerium nur ein Drittel der Stückzahl bestellt, die früher als ausreichend für die Verteidigungsbereitschaft galt. Im Verteidigungsfall hätte in der Armee nicht einmal jeder zweite Soldat ein Gewehr.

Pistorius täte gut daran, seine eigene politische Kampfkraft mehr in den Dienst abwehrbereiter Streitkräfte einer wehrhaften Demokratie zu stellen. Sein Kriegstüchtigkeitsgerede hilft niemandem. Vor allem nicht der darbenden Bundeswehr.

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