Machtphantasien im Zeichen der Halbmonde: Die Grauen Wölfe nutzen die Fussball-EM zur Rekrutierung neuer Mitglieder

Die türkischen Ultranationalisten sind die grösste rechtsextreme Bewegung Deutschlands. Das EM-Spiel der Türkei gegen Georgien am Dienstag (ab 18 Uhr) könnten die Grauen Wölfe für ihre Zwecke nutzen.

Ronny Blaschke, Dortmund 5 min
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Bei der Begrüssung des türkischen Nationalteams (im Bild der Captain Hakan Calhanoglu) vor wenigen Tagen in Barsinghausen schwenkten einige Fans eine Fahne mit Symbolen der Grauen Wölfe.

Bei der Begrüssung des türkischen Nationalteams (im Bild der Captain Hakan Calhanoglu) vor wenigen Tagen in Barsinghausen schwenkten einige Fans eine Fahne mit Symbolen der Grauen Wölfe.

Moritz Frankenberg / Keystone

Im Juli 2023 sorgte ein Foto aus einem Fitnessstudio für Aufregung. Darauf zu sehen war der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil mit einem Trainingspartner. Özil lächelte und gab den Blick auf eine Tätowierung frei. Auf seiner Brust waren drei Halbmonde und ein heulender Wolf abgebildet. Es ist die Symbolik der Grauen Wölfe, einer ultranationalistischen türkischen Bewegung. Mit 18 000 Mitgliedern gilt sie als grösste rechtsextreme Bewegung in Deutschland.

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«Der Fussball ist seit Jahrzehnten eine Rekrutierungsplattform für die Grauen Wölfe», sagt der Pädagoge Burak Yilmaz, der diese Ideologie erforscht. «Ich gehe davon aus, dass sie diesen Sommer intensiv nutzen werden.»

An der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland absolviert die türkische Nationalmannschaft zwei Vorrundenspiele in Dortmund und damit im Ruhrgebiet, wo die Grauen Wölfe gut vernetzt sind. Das erste davon am Dienstag gegen Georgien. Burak Yilmaz hält es für möglich, dass Fans im Stadion nationalistische Parolen von sich geben werden: «Die Grauen Wölfe könnten aber auch im Stadionumfeld auf Jugendliche zugehen.» In der Bahn, in Cafés, auf der Strasse. Bereits bei der Begrüssung der türkischen Mannschaft vor wenigen Tagen in Barsinghausen schwenkten einige Fans eine Fahne mit Symbolen der Grauen Wölfe – so zeigt es ein Video.

Die Grauen Wölfe sind in der Lokalpolitik vernetzt

Burak Yilmaz weiss aus eigener Erfahrung, wie die Anwerbungsversuche funktionieren. In seiner Heimatstadt Duisburg war er lange als Schiedsrichter aktiv. Bei mehreren Jugendspielen hatte er Flaggen, Trikots und Banner mit Symbolen der Grauen Wölfe beobachtet. Mitunter hörte er beim Einlaufen der Mannschaften völkische Marschlieder, die die türkische Nation über alle anderen stellt. «Trainer und Eltern stachelten die jungen Spieler auf und sprachen von Türkentum – als ginge es um eine Schlacht.»

Hin und wieder kam es auf den Plätzen zu Angriffen. Zu den Opfern zählten kurdische, alevitische und dunkelhäutige Fussballer. Immer wieder dokumentierte Yilmaz die gewaltverherrlichende Sprache in Spielberichten. «Aber das blieb ohne Konsequenzen», sagt er. «Die Grauen Wölfe sind in der Lokalpolitik vernetzt. Und in den Fussballverbänden gibt es über ihre Geschichte und ihre Strukturen kaum Wissen.»

Die Grauen Wölfe in der Türkei haben ihren Ursprung in den 1960er Jahren. Sie bezeichnen sich als «Ülkücüler», als Idealisten, und propagieren eine historische, ethnische und moralische Überlegenheit der Turkvölker. Von Beginn an waren die Grauen Wölfe in der Türkei an die MHP gebunden, die Partei der Nationalistischen Bewegungen. Tausende türkische Auswanderer brachten die Ideologie mit nach Westeuropa.

Zum Beispiel nach Deutschland. Ab den 1970er Jahren bemühten sich türkische Gastarbeiter vermehrt um den Eintritt in Fussballvereine, doch die regionalen Verbände des Deutschen Fussball-Bunds (DFB) lehnten sie in der Regel ab. Sportfunktionäre teilten zu jener Zeit die weitverbreitete Meinung, dass die Gastarbeiter sowieso in die Türkei zurückkehren würden. Integrationskonzepte? Gab es kaum.

Die Gastarbeiter gründeten eigene Klubs, vor allem im Ruhrgebiet. Oft hörten die Gastarbeiter aus der Mehrheitsgesellschaft den Vorwurf, dass sie sich abschotteten. Doch dann erwiderten sie, dass ihre Vereine nur eine Reaktion auf den Rassismus der Deutschen seien.

Die Grauen Wölfe machten sich diese Spannungen zunutze und engagierten sich im Fussball als Betreuer, Trainer, Sponsoren. In den Vereinen erreichen sie türkischstämmige Kinder, Jugendliche und deren Eltern. Viele Familien leben seit Jahrzehnten in Deutschland, beziehen ihre Nachrichten aber weiterhin aus türkischen Zeitungen und Fernsehsendungen.

An diese politische Orientierungslosigkeit könnten die Grauen Wölfe mit ihrer Ideologie anknüpfen, erläutert der Politikwissenschafter Mahir Tokatli, der an der RWTH Aachen forscht. Die Grauen Wölfe greifen die Ausgrenzungserfahrungen der jungen Fussballer auf und bieten eine Alternative an: den türkischen Nationalismus. Eines ihrer Mottos: «Werde Deutscher, bleibe Türke!»

Mesut Özil wirkt wie eine Werbefigur

Vor diesem Hintergrund wirkt Mesut Özil für die Grauen Wölfe wie eine Werbefigur. Für einige Jahre galt der Weltmeister von 2014 als Hoffnungsträger einer multikulturellen deutschen Gesellschaft, doch dann begann sein Abstieg 2018 nach einem Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan.

Die Kritik an Özil war oft begleitet von Rassismus. Bei vielen Amateurkickern in Deutschland war er untendurch, doch in migrantischen Sportvereinen wuchs sein Heldenstatus. Ein Fussballer, der für Deutschland alles gibt und trotzdem von der Mehrheit abgelehnt wird? In dieser Erzählung finden sich viele türkischstämmige Jugendliche wieder. Es sind die Grauen Wölfe, die diesen Frust aufgreifen, mit Parolen verstärken und den Blick noch stärker in Richtung Türkei lenken wollen.

«Wenn es in der Türkei polarisierende Debatten gibt, dann wächst auch bei uns im Ruhrgebiet die Bedrohungslage», sagt Mehmet Tanli. Der Sozialpädagoge lebt seit 1980 in Deutschland. Als Alevit spürt Tanli, wie die Ultranationalisten ihre Wut an türkischstämmigen Menschen auslassen, die das Türkentum nicht unterstützen. Zum Beispiel 2016, als nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei auch in Berlin, Hamburg oder Stuttgart kurdische Einrichtungen attackiert wurden.

Tanli hält es für möglich, dass die Spiele der türkischen Nationalmannschaft auch zu Festtagen der Grauen Wölfe werden können. Ihre Spiele werden von einem Grossaufgebot der Polizei begleitet. «Die deutschen Behörden und der Verfassungsschutz haben die Grauen Wölfe lange nicht ernst genommen», sagt Tanli. «Wir sollten mehr in Aufklärung und Prävention investieren.»

Einige Vereine tragen das Bekenntnis zum türkischen Nationalismus in ihrem Namen

Es gibt Fussballvereine in Deutschland, die der Verfassungsschutz im Spektrum der Grauen Wölfe verortet, etwa Vereine, die ihr Bekenntnis zum türkischen Nationalismus im Namen tragen, zum Beispiel Turanspor. Andere Vereine sind zurückhaltender, nutzen die alttürkische Schrift oder verwenden Symbole der osmanischen Kultur, darunter die Zahl 1453. In jenem Jahr wurde das christliche Konstantinopel von den Osmanen erobert.

In den sozialen Netzwerken einiger deutsch-türkischer Vereine stösst man auch auf Verbindungen zur rechtsextremen türkischen Partei MHP. Es finden sich Videos von gewaltverherrlichenden Rappern. Oder Jugendspieler, die den «Wolfsgruss» zeigen oder Kommentare hinterlassen wie: «Der Türke wird tapfer sein und der Jude feige.»

Wie lässt sich der Einfluss der türkischen Rechtsextremen in Deutschland zurückdrängen? Einige Fussballverbände achten schon in der Saisonplanung darauf, dass Mannschaften, die den Grauen Wölfen nahestehen, nicht in derselben Spielklasse antreten wie kurdisch geprägte Teams. Und zumindest in Nordrhein-Westfalen können Fussballer nun auch Angriffe der Grauen Wölfe bei einer Meldestelle angeben.

Der Pädagoge Burak Yilmaz plädiert für ein Verbot der Grauen Wölfe. So wie in Frankreich, wo der Ministerrat 2020 die Auflösung der Grauen Wölfe angeordnet hatte. Doch es gibt Bedenken juristischer Art. Bei den Grauen Wölfen handelt es sich nicht um eine zentrale Partei mit festen Mitgliedschaften, sondern um eine verzweigte Bewegung. «Wir brauchen eine ernsthafte Debatte», sagt Burak Yilmaz. Die Europameisterschaft könnte den Anstoss dafür liefern.